Hintergrund
Für Dienstleistungen lassen sich viele Beispiele nennen:
Transportleistungen wie Flüge und Taxifahrten, Bewirtungsleistungen wie
Hotelübernachtungen und Restaurantbesuche, Infrastrukturleistungen wie Energie-
und Kommunikationsbereitstellung und Expertenleistungen wie Arzt- oder Rechtsanwaltskonsultation.
Obwohl sich diese Beispiele wesentlich voneinander unterscheiden, teilen sie
alle gemeinsame Merkmale: Sie alle sind darauf angewiesen, dass Anbieter und
Kunden zusammenarbeiten für den gegenseitigen Nutzen. Obwohl es keine
allgemeingültige Definition gibt, sind Dienstleistungen gekennzeichnet durch
die Anwendung von Kompetenzen (Wissen und Fähigkeiten) zu
Gunsten eines anderen oder einem selbst in Taten, Prozesse und Leistungen [Peters
et al. 2016]. Die Wertschöpfung der Dienstleistung geschieht dabei durch
mehrere Akteure, also in Zusammenarbeit (engl. Value Cocreation) und wird im
Kontext erstellt [Böhmann et al. 2014].
Dienstleistungssysteme bestehen aus einem „Netzwerk aus Menschen, Informationen, Organisationen und Technologien, die gemeinsam zum gegenseitigen Nutzen beitragen“ [Maglio et al. 2015, S. 2]. Dienstleitungssysteme sind somit komplexe, sozio-technische Systeme, die interaktive und gemeinsame Wertschöpfung ermöglichen [Böhmann et al. 2014]. Durch eine entsprechende Konfiguration von Akteuren und anderen Ressourcen wird die Wertschöpfung im Dienstleistungssystem ermöglicht. Fähigkeiten der Akteure, die Interaktion und das Engagement im Dienstleistungssystem sind von grundlegender Bedeutung für diese Wertschöpfung. Typischerweise gehören zu den Akteuren vor allem menschliche Agenten (mit Wissen und Fähigkeiten), die an der gemeinsamen Wertschöpfung teilnehmen [Böhmann et al. 2014]. Immer mehr Dienstleistungssysteme haben essentielle Technologie-Komponenten.
Die wachsende Relevanz von Dienstleistungssystemen zeigt sich auch im interdisziplinären Forschungsfeld der Dienstleistungswissenschaft (engl. Service Science). Diese zielt darauf ab Dienstleistungssysteme zu entwickeln und zu verbessern. Service Science bedient sich Methoden und Theorien aus anderen Disziplinen wie dem Operations Management, den Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften, dem Marketing, der Informatik, der Psychologie, der Wirtschaftsinformatik, dem Design und vielen mehr. Traditionell haben viele verschiedene Disziplinen Dienstleistungssysteme untersucht. Beispielsweise verknüpft das Operations Management Fragestellungen von Dienstleistungen mit weiteren Konzepten wie der dienstleistungsorientierten Architektur oder dem Service-System-Engineering. Das Service-System-Engineering fokussiert sich auf die systematische Gestaltung und Entwicklung von Dienstleistungssystemen [Böhmann et al. 2014].
Zusammensetzung von Dienstleistungssystemen
Die grundlegende Idee der Dienstleistungssysteme beruht auf der zunehmenden Vernetzung von Dienstleistungserbringern und Dienstleistungsnehmern. Ein Dienstleistungssystem kann daher in Dienstleistungsnehmer- und Dienstleistungsanbietersystem aufgeteilt werden (Abbildung 1). Die meisten Dienstleistungssysteme beinhalten und nutzen interne und externe Strukturen. Übergreifend betrachtet, können die Beteiligten eines Dienstleistungssystems als Anbieter und Kunden zusammengefasst werden, wobei die Rolle des Anbieters oder Kunden von verschiedenen Akteuren übernommen werden kann.
Abb. 1: Dienstleistungssystem
Architektur
Das Zusammenwirken aller dieser Elemente eines Dienstleistungssystems im Prozess der interaktiven Wertschöpfung wird durch seine Dienstleistungsarchitektur beschrieben [Böhmann et al. 2014]. Das Konzept der Architektur, welches auch auf Dienstleistungssystem Anwendung findet, bezeichnet die Dekomposition eines Systems in funktionale Komponenten sowie deren Abhängigkeiten bei Realisierung der Gesamtfunktion des Systems. Eine Dienstleistungsarchitektur übersetzt das Wertversprechen eines Dienstleistungssystems in eine Konfiguration von Akteuren, Ressourcen und Aktivitäten der interaktiven Wertschöpfung und bestimmt die Eigenschaften der Dienstleistung.
Herausforderungen für Unternehmen und Forscher bestehen in Hinblick auf
- innovative Architekturen, mit denen sich neue Wertversprechen und Systemeigenschaften realisieren lassen,
- den Abgleich der Dienstleistungsarchitektur mit der technischen Systemarchitektur, insbesondere für technologiebasierte Dienstleistungen sowie
- der Weiterentwicklung von Modellen, Methoden und Werkzeugen für die Entwicklung von Dienstleistungsarchitekturen.
Eine Innovation von Dienstleistungssystemen erfordert eine umfassende Rekonfiguration der Architektur in der die interaktive Wertschöpfung mit einer Mehrzahl von Anspruchsgruppen erfolgt. Darüber hinaus stellen systemweite Eigenschaften neue Anforderungen an die Dienstleistungsarchitekturen. Beispielsweise führt die Anpassbarkeit von Dienstleistungssystemen an spezifische Nutzungskontexte und zukünftige Anforderungen zu höherer Komplexität und zu größeren Risiken.
Technologie gewinnt für Dienstleistungssysteme rasant an Bedeutung. Die breite Verfügbarkeit von Daten und die wachsenden Möglichkeiten der Automatisierung erweitern die Möglichkeiten für innovative Dienstleistungssysteme erheblich. Die bessere Verzahnung maschineller und menschlicher Intelligenz erlaubt neue Formen der Ressourcenkombination und Dienstleistungserbringung. Dienstleistungssysteme werden dadurch zu einem zentralen Element industrieller Produktionsprozesse und Geschäftsmodelle [Böhmann et al. 2014].
Interaktion
Interaktionen ermöglichen die Wertschöpfung in
Dienstleistungssystemen. Die Entwicklung der Informations- und
Kommunikationstechnik (IKT) eröffnen die Möglichkeiten zur innovativen
Gestaltung dieser Interaktionen. Insbesondere die Verbreitung stationärer und
mobiler Internetzugänge sowie die Entwicklung von intelligenten Sensoren
erlauben die Entwicklung neuer Formen der informationsintensiven Interaktion mit
Dienstleistungssystemen. Unter Nutzung dieser Informationen können die Möglichkeiten
zur Kooperation und Anpassung der Dienstleistungen an den Nutzungskontext erheblich
ausgeweitet werden. Dafür ist jedoch eine genauere Untersuchung der Prinzipien
der Interaktion mit Dienstleistungssystemen und ihrer Wahrnehmung durch Nutzer
erforderlich. Darüber hinaus ist die Auseinandersetzung mit spezifischen Phasen
der Interaktion, wie z. B. die Anbahnung von Dienstleistungen bzw. ihrer Wiederherstellung
im Falle von Qualitätsproblemen oder Konflikten erforderlich. Dadurch kann das
erforderliche Wissen gewonnen werden, um Methoden der Gestaltung von
Interaktionen mit Servicesystemen zu entwickeln. Dabei spielt die Einbettung
von IT-ermöglichten Interaktionen in die zur Wahl stehenden Interaktionskanäle
eine zentrale Rolle.
Ressourcen
Ein wesentlicher Effekt allgegenwärtiger Informationssysteme ist die Mobilisierung von Ressourcen für die interaktive Wertschöpfung in Dienstleistungssystemen [Böhmann et al. 2014]. Nach der verwendeten Definition von Dienstleistungen gibt es dabei vier verschiedene Ressourcen in Dienstleistungssystemen. Diese Ressourcen sind:
- Menschen – die Akteure im Dienstleistungssystem sind die Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsnehmer sind. In jedem Dienstleistungssystem gibt es einen hauptsächlichen Nutzniesser, meist der Dienstleistungsnehmer.
- Informationen – beinhalten sowohl Nutzer, Nutzungs- und Kontextdaten als auch Institutionen im Dienstleistungssystem wie etwa Sprache, Metriken, Preise, Richtlinien und Gesetze. Die sind die Grundlage der Interaktion im Dienstleistungssystem.
- Organisationen – beinhaltet die beteiligenden Unternehmen und andere interne und externe Dienstleistungssysteme.
- Technologien – beinhaltet die Informations- und Kommunikationstechnik (IKT), die notwendig für die Unterstützung der Bereitstellung der Dienstleistung. Diese kann sowohl Software als auch Hardware umfassen.
Schlüssel zur gemeinsamen Wertschöpfung ist die Ressourcenintegration durch Kunden und Anbieter. Die Koordination der Wertschöpfung geschieht durch Institutionen – Strukturen oder Mechanismen, welche die soziale Ordnung und die Zusammenarbeit steuern. Um die Möglichkeiten der Ressourcenarchitektur und –interaktion auszuschöpfen, muss die Entwicklung und Evaluation von IT-basierten Mechanismen und Komponenten zur Mobilisierung von Ressourcen weiterentwickelt werden. Auch entstehen durch die Vielzahl von Interaktionen mit Dienstleistungssystemen neue Ressourcen, insbesondere Informationsressourcen, die Nutzer erfassen und mit anderen teilen.
Arten von Dienstleistungssystemen
Menschenzentrierte
Dienstleistungssysteme
Menschenzentrierte Dienstleistungssystem (engl.:
Human-centered service systems) sind Dienstleistungen mit Schwerpunkt auf die
menschliche Interaktion und persönliche Dienstleistungen [Kleinschmidt
et al. 2016]. Sie unterscheiden sich von anderen Dienstleistungssystemen,
weil die persönliche Interaktion zwischen den Akteuren wesentlich für die
Wertschöpfung ist. Diese Dienstleistungssysteme sind von großer Bedeutung, weil
sie Bereiche abdecken, die wesentlich für unsere Gesellschaft und unseren
Alltag sind [Peters et al. 2016]. Dies ist der Fall in den unterschiedlichsten
Branchen wie bspw. der Aus- und Weiterbildung oder dem Gesundheitswesen [Maglio
et al. 2015]. Diese Leistungen sind geprägt von den steigenden Erwartungen und
Nachfrage nach persönlichen Dienstleistungen sowie wechselnden organisatorischen
Lieferstrukturen.
In diesen menschenzentrierten Dienstleistungssystemen sind die
Eigenschaften von Dienstleistungssystem verstärkt, die die Gestaltung der Dienstleistungen
beeinflussen [Kleinschmidt et al. 2016; Maglio et al. 2015]. Diese
Dienstleistungssysteme erfordern aufgrund ihrer Wissensintensität
und Personalisierung die Kundenbeteiligung und einen
Beitrag für die Wertschöpfung. Je mehr ein Dienstleistungssystem von diesem Wissen
und der Anpassung an die Bedürfnisse der Kunden abhängig ist, desto höher ist
die Einbindung des Kunden in der Wertschöpfung. Dies bedeutet, dass die Wertschöpfung
gelingt, wenn die Ressourcen des Dienstleistungssystems integriert sind und in
einem bestimmten Kontext angewendet werden. Dies ist in der Regel bei diesen
Dienstleistungssystemen an die menschliche Interaktion gebunden.
Technikbasierte und technologiegestützte
Dienstleitungssysteme
Im Gegensatz dazu stehen technikbasierte und
technologiegestützte Dienstleitungssysteme. Hier unterstützt die Technologie
als entscheidende Ressource die Wertschöpfung des Dienstleistungssystems. Es
gibt dabei einen Unterschied zwischen technikbasierten Dienstleitungssystemen
und technologiegestützten Dienstleitungssystemen. Basierend auf Trends wie Self-service
und Automatisierung gibt es eine Steigerung von IKT in Dienstleistungssystemen.
In technikbasierten Dienstleistungssystemen beruhen die Wertschöpfung dabei
primäre auf der IKT und die effiziente Leistungserbringung steht im Mittelpunkt.
In den technologiegestützten Dienstleitungssystemen wird die Wertschöpfung der
anderen Ressourcen durch IKT gefördert. Hier steht die Integration der
einzelnen Teile des Dienstleistungssystems im Vordergrund.
IKT bzw. Technologie ist eines der am meisten diskutierten
Dimensionen von Innovation in Dienstleistungssystemen [Peters et al. 2016]. Der
Diskurs behandelt die Frage, ob IKT-unterstützte Dienstleistungsinnovationen in
Dienstleistungssystemen die Integration von Ressourcen und die Wertschöpfung verbessern
und/oder erst ermöglicht. Die Integration von IKT in ein Dienstleistungssystem
kann eine Herausforderung für die verschiedenen Akteure darstellen. IKTs sollte
dabei nie Mitarbeiter ersetzen, sondern diese unterstützen. Diese Erkenntnis
ist besonders relevant für Dienstleistungssysteme mit persönlicher
Interaktionen als wesentlichem Teil der Wertschöpfung [Kleinschmidt et al. 2016].
Eine Innovation in Richtung eines technikbasierten Dienstleistungssystems
verändert dann die gesamte Dienstleistung. Individuelle Prozesse und
Handlungen, die Wert schaffen, verändern sich damit.
Das intelligente Wechselspiel aus IKT- und personenbezogenen
Dienstleistungen ist Kern der Gestaltungsaufgabe erfolgreicher und
gesellschaftlich wünschenswerter Dienstleistungssysteme.
Literatur
Böhmann,
T., Leimeister, J.M., Möslein, K. (2014): Service systems engineering. Business
& Information Systems Engineering. 6, 73–79.
Kleinschmidt,
S., Peters, C., Leimeister, J.M. (2016): ICT-enabled service innovation in
human-centered service systems: A systematic literature review. In: Proceedings
of the 37th International Conference on Information Systems (ICIS), Dublin, Ireland.
Maglio,
P.P., Kwan, S.K., Spohrer, J. (2015): Commentary─Toward a research agenda for
human-centered service system innovation. Service Science. 7, 1–10.
Peters,
C., Maglio, P., Badinelli, R., Harmon, R.R., Maull, R. (2016): Emerging digital
frontiers for service innovation. Communications of the Association for Information
Systems. 39, 136–149.