ReferenzmodellDas zentrale Charakteristikum eines Referenzmodells ist seine intendierte bzw. faktische Wiederverwendung. Damit ist ein Referenzmodell ein Modell, das zur Wiederverwendung empfohlen oder faktisch zur Konstruktion weiterer Modelle wiederverwendet wird. DefinitionBisher hat sich innerhalb der Forschung zur Referenzmodellierung keine allgemein anerkannte Definition des Terminus Referenzmodell herausgebildet. Allerdings lässt sich in jüngster Zeit eine Konvergenz verschiedener terminologischer Bestimmungen in Richtung eines wiederverwendungsorientierten Referenzmodellbegriffs feststellen. Zur weiteren Systematisierung und unterschiedlichen Begriffsauffassungen siehe [Fettke, Loos 2004; Fettke 2006; Fettke, Loos 2007; vom Brocke 2003]. Gemäß der wiederverwendungsorientierten Begriffsauffassung ist ein Referenzmodell ein Modell, das mindestens einer der beiden folgenden Eigenschaften genügt [vom Brocke 2003; Alpar et al. 2002; Becker, Knackstedt 2004; Becker, Delfmann, Knackstedt 2004]:
Die intendierte bzw. faktische Wiederverwendung eines Modells stellt damit das zentrale Definitionsmerkmal eines Referenzmodells dar. Die wiederverwendungsorientierte Begriffsauffassung hat zur Konsequenz, dass der uneingeschränkte Anspruch der Wissenschaftlichkeit an Referenzmodelle fallen gelassen werden muss. Auch muss gemäß diesem Verständnis ein Referenzmodell nicht zwingend ein Best Practice- oder Common Practice-Modell darstellen. Gleichwohl wird dieser Anspruch häufig von Autoren implizit an ein Referenzmodell gestellt. Der Referenzmodellbegriff wird dabei ähnlich wie der Modellbegriff sowohl mit deskriptiver als präskriptiver Absicht verwendet:
In einem Referenzmodell sind in der Regel deskriptive und präskriptive Aspekte verschränkt vorhanden, wobei im Einzelfall die eine oder andere Sichtweise erheblich überwiegen kann. Dabei gilt zu beachten, dass ein aus einem Referenzmodell abgeleitetes Modell auf derselben Sprachstufe angesiedelt ist, also keine Instanziierungsbeziehung wie bei der Anwendung eines Meta-Modells vorliegt. Deduktive und induktive Entwicklungsstrategie
Bei der Erstellung eines Referenzmodells kann zwischen einer deduktiven und einer induktiven Strategie unterschieden werden [Fettke 2014]:
In jüngster Zeit sind insbesondere Konzepte, Methoden und Werkzeuge zur induktiven Referenzmodellierung entwickelt und erforscht worden [Rehse et al. 2016]. Ein Beispiel ist der am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) entwickelte RefMod-Miner, der vielfältige Funktionen zur Referenzmodellentwicklung zur Verfügung stellt. Aktuelle Tendenzen weisen darauf hin, dass die induktive Entwicklungsstrategie Gemeinsamkeiten zum Forschungsfeld des Process Mining aufweist und auch im Kontext der deduktiven Entwicklungsstrategie vielfältige Vorteile bietet. Typen von ReferenzmodellenTabelle 1 gibt einen Überblick über verschiedene Typen von Referenzmodellen. Bei Analyse- und Entwurfsmustern handelt es sich zumeist um Modelle von sehr geringem Umfang. Entwurfsmuster sind zudem auf den Entwurf von Software ausgerichtet. Frameworks bestehen im Wesentlichen aus Programmcode, der nach geeigneten Modifikationen und Anpassungen leicht wiederverwendet werden kann. Für die Wirtschaftsinformatik besonders von Bedeutung sind betriebswirtschaftliche Referenzmodelle. Ein umfassender Katalog mit bekannten Referenzmodellen wird am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität Saarbrücken gepflegt.
Tab. 1: Übersicht über Typen von Referenzmodellen Ökonomische Wirkungen der Anwendung von ReferenzmodellenMit der Anwendung von Referenzmodellen werden im Allgemeinen höhere Effektivitäts- und Effizienzvorteile unterstellt. Im Einzelnen werden in der Literatur unterschiedliche Wirkungen diskutiert. Exemplarisch seien genannt [Becker, Knackstedt 2003]:
Erste umfassende empirische Untersuchungen zur ökonomischen Wirkung der Referenzmodellierung bestätigen am Beispiel des SCOR-Modells die positiven Effekte, die von der Anwendung eines Referenzmodells ausgehen [Fettke 2008]. Offene ProblemeWährend in früheren Arbeiten zur Referenzmodellierung die Allgemeingültigkeit als ein definitorisches Merkmal eines Referenzmodells herausgestellt wurde [Hars 1994; Schütte 1998], wird in jüngster Zeit von dieser Forderung oft Abstand genommen. Vor diesem Hintergrund bestehen mehrere Problembereiche:
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Autoren![]() Prof. Dr. Peter Fettke, Institut für Wirtschaftsinformatik (IWi) im Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), Campus D3 2, 66123 Saarbrücken ![]() Prof. Dr. Jan vom Brocke, University of Liechtenstein, Institute of Information Systems, Martin Hilti Chair of Business Process Management, Fürst-Franz-Josef-Strasse 21, 9490 Vaduz, Principality of Liechtenstein |