Industrieunternehmen stehen im heutigen Wettbewerbsumfeld einer
stetig wachsenden Globalisierung vor der Herausforderung, die Koordination
einer immer größeren Zahl an Materialflüssen beherrschen zu müssen.
Insbesondere die Koordination zusammenfließender Materialflüsse in
Montageprozessen oder Komplettierungssituationen (bspw. im Versand), die auch als
konvergierende Materialflüsse bezeichnet werden, bedingen eine aufwendige
Abstimmung im Konvergenzpunkt (Nyhuis et al. 2013). Konvergierende
Materialflüsse beschreiben die Situation, wenn
Produkt
einfließen. Nur für den Fall, dass alle Bereitstellungen der Komponenten eines
Auftrages termingerecht durchgeführt werden, ist eine planmäßige Durchführung des
jeweiligen Auftrages realisierbar. Die Verspätung eines einzelnen
Versorgungsprozesses führt zu der Verzögerung des gesamten Auftrages im
Konvergenzpunkt (Schmidt 2011).
Das Bereitstellungsdiagramm beschreibt die Wirkzusammenhänge
zwischen den typischen Versorgungsprozessen Lager, Produktion und Beschaffung sowie
der Bereitstellungssituation im Konvergenzpunkt. Als Grundlage für die
Beschreibung der Wirkzusammenhänge dienen die spezifischen Terminabweichungsverteilungen
der Versorgungsprozesse. Die Auswirkungen dieser Terminabweichungen werden im
Hinblick auf die Termin- und Bestandssituation im Konvergenzpunkt durch das
Bereitstellungsdiagramm abgebildet (Beck 2013). In Konvergenzpunkten wird
zwischen gestörten und komplettierten Beständen unterschieden. Als gestörter
Bestand wird die Menge an Komponenten bezeichnet, die im Konvergenzpunkt
bereits zugegangen ist bei gleichzeitigem Fehlen weiterer Komponenten der
jeweiligen Aufträge (Nyhuis et al. 2008). Somit ist eine Fehlteilsituation vorhanden,
die als Folge dazu führt, dass die entsprechenden Aufträge nicht verarbeitet
werden können. Demgegenüber bilden komplettierte Bestände den Vorrat an
Aufträgen ab, deren Komponenten für eine Weiterverarbeitung vollständig zur
Verfügung stehen. Dies ist der Fall, sobald alle Komponentenbereitstellungen des
jeweiligen Auftrages im Konvergenzpunkt abgeschlossen sind (Schmidt 2011).
Verzögerungen in den Versorgungsprozessen führen zwangsweise
zu gestörten Beständen und spiegeln sich in Terminabweichungen wider. Über eine
Verknüpfung der Terminabweichungsverteilungen der jeweiligen
Versorgungsprozesse ist die Terminabweichungssituation im Konvergenzpunkt
abbildbar. Als Resultat lässt sich die Versorgungssituation im Hinblick auf
Terminabweichungen in einem Konvergenzpunkt über eine aggregierte
Terminabweichungsverteilung abbilden (Beck 2013).

Abb. 1: Herleitung des Bereitstellungsdiagramms auf Basis
der Terminabweichungsverteilungen dreier Versorgungsprozesse
Im Bereitstellungsdiagramm wird die aggregierte
Terminabweichungsverteilung in eine normierte Zugangs- und eine normierte
Komplettierungskurve überführt (s. Abb. 1). Die Zugangskurve berücksichtigt
alle Bereitstellungszeitpunkte der Teilkomponenten, die für die Montageaufträge
oder Komplettierungen innerhalb des entsprechenden Untersuchungszeitraumes
erforderlich sind. Eine Normierung der Bereitstellzeitpunkte basiert auf den
Bedarfsterminen der Versorgungsprozesse. Zusätzlich erfolgt eine Gewichtung der
Bereitstellzeitpunkte auf Basis des Wertes der bereitgestellten Komponenten. Anhand
der Zugangskurve ist der Gesamtwert der Bereitstellungen quantifizierbar, der
bis zu einer spezifischen Terminabweichung an dem untersuchten Konvergenzpunkt
zugegangen ist.
Die Abbildung komplettierter Aufträge bedingt den Aufbau
einer Komplettierungskurve. Die Komplettierungskurve umfasst ausschließlich die
Bereitstellungszeitpunkte der für die einzelnen Aufträge zuletzt
bereitgestellten Komponenten. In Anlehnung an die Zugangskurve werden die
Bereitstellzeitpunkte auf den Bedarfstermin normiert und anhand des
Gesamtauftragswertes gewichtet. Mathematisch resultiert die
Komplettierungskurve aus der Potenzierung der Zugangswahrscheinlichkeiten der
einzelnen Komponenten der Versorgungsprozesse. Die Komplettierungskurve
bestimmt den Bestandswert an komplettierten Aufträgen in Abhängigkeit
spezifischer Terminabweichungen.
Der gestörte Bestand in einem Konvergenzpunkt ist anhand der
Fläche zwischen der Zugangs- und der Komplettierungskurve ermittelbar. Neben
der Ermittlung der Höhe des gestörten Bestandes an einem Konvergenzpunkt
ermöglicht das Bereitstellungsdiagramm auf Basis der Verläufe der Zugangs- und
Komplettierungskurve die Ableitung von Aussagen bezüglich der terminlichen
Abstimmung von Versorgungsprozessen. In diesem Zusammenhang ist zwischen einer
rechtzeitigen und einer gleichzeitigen Bereitstellung durch die
Versorgungsprozesse zu unterscheiden (Nickel 2008). Eine rechtzeitige
Bereitstellung (s. Abb. 2 - Fall b) liegt vor, falls alle Versorgungsprozesse in
einem Konvergenzpunkt vor dem eigentlichen Bedarfstermin abgeschlossen sind.
Demgegenüber beschreibt die Gleichzeitigkeit einer Bereitstellung die zeitliche
Abstimmungsgüte zwischen den Versorgungsprozessen (s. Abb. 2 - Fall c). Eine
hohe Gleichzeitigkeit bedingt einen geringen zeitlichen Versatz zwischen der ersten
und der letzten Bereitstellung der Komponenten eines Auftrages bzw. einen
geringen horizontalen Abstand zwischen der Zugangs- und der
Komplettierungskurve. Eine gleichzeitige Bereitstellung der Versorgungsprozesse
führt zu einer Reduzierung der gestörten Bestände. Die Kombination aus
Gleichzeitigkeit und Rechtzeitigkeit wird unter dem Begriff Pünktlichkeit zusammengefasst
(s. Abb. 2 - Fall d).

Abb. 2: Unterscheidung zwischen rechtzeitiger,
gleichzeitiger und pünktlicher Bereitstellung
Auf Basis der Analyse der Terminabweichungen der
Versorgungsprozesse sind Aussagen über die Höhe gestörter Bestände an
Konvergenzpunkten sowie über die Gleichzeitigkeit und Rechtzeitigkeit der
Bereitstellungen ableitbar. Die Kenntnis über die Wirkzusammenhänge zwischen
Terminabweichungsverteilungen der Versorgungsprozesse und den Verläufen von
Zugangs- und Komplettierungskurven ermöglicht es, die Wirkung von Maßnahmen zur
Verbesserung der Terminabweichungswerte der Versorgungsprozesse modellbasiert
abzubilden und versorgungsprozessspezifische Verbesserungspotenziale zu
ermitteln (Beck 2013). Auf Basis des Bereitstellungsdiagramms ist weiterhin die
Identifikation von Schwachstellen bei konvergierenden Versorgungsprozessen durchführbar.
Folgerichtig stellt das Bereitstellungsdiagramm ein wesentliches Werkzeug bei
der Gestaltung und Steuerung von Montage- und Komplettierungsbereichen dar.
Literatur
Beck, S. (2013): Modellgestütztes Logistikcontrolling
konvergierender Materialflüsse. Garbsen: PZH Produktionstechnisches Zentrum
(Berichte aus dem IFA, 2013,3).
Nyhuis, P.; Busse, T.; Münzberg, B. (2008): Logistische Beherrschung von Fertigungs- und Montageprozessen. ZWF Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb, Jahrgang 103 (6), S. 400-403.
Nyhuis, P.;
Beck, S.; Schmidt, M. (2013): Model-based logistic controlling of converging
material flows. In: CIRP Annals - Manufacturing Technology 62 (1),
431–434.
Schmidt, M. (2011): Modellierung logistischer Prozesse der
Montage. Garbsen: PZH, Produktionstechnisches Zentrum. (Berichte aus dem IFA,
2011, 1).
Autor
Prof. Dr.-Ing. habil. Peter Nyhuis, Leibniz Universität Hannover, Institut für Fabrikanlagen und Logistik, An der Universität 2, 30823 Garbsen
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